Freitag, 10. Juli 2015

Vom Fuchs

Der Fuchs im Garten

Für drei Wochen leben wir im Gartenhaus von Hannas Bruder Wolfgang, um während seiner Abwesenheit die Pflanzen und die nachbarschaftlichen Beziehungen zu pflegen. Die Pflanzen müssen gewässert und geerntet werden und die Nachbarn gegrüßt.
Es ist sechs Uhr morgens und durch das Fenster kommt angenehm kühle Morgenluft hereingeweht. Ich döse vor mich hin, zufrieden damit, dass der Tag noch nicht angefangen hat, halb träumend, halb wach und die Morgenfrische genießend. Der Himmel ist wolkenverhangen und in der Ferne hört man das Grollen eines Gewitters. Es soll wieder heiß werden. An die vierzig Grad sind für heute angekündigt.
Unvermittelt werde ich von einem wilden Lärm aus meinen Träumen gerissen. Ich bin sofort hellwach und erst im Nachhinein registriere ich, was mich aus meinem angenehmen morgendlichen Dämmerschlaf gerissen und meine Adern mit Adrenalin überflutet hat.
Das metallische Klappern eines umfallenden Fahrrades und wildes, panisches Trappeln, an meinem offenen Fenster vorbei. Vier kräftige Pfoten, die sich in den rauen Boden des sommertrockenen Rasen krallen und ein flüchtendes Tier in Sekundenbruchteilen durch den Garten und in den nahen Wald treiben. Die Zäune und Hecken zwischen den Gärten müssen im Sprung genommen worden sein, kein Moment des Zögerns oder Innehaltens, und dann ist wieder Ruhe. Die Vögel singen, in den Bäumen rauscht leiser Wind und ein paar Insekten brummen geschäftig hin und her. Gestern Abend konnten wir Glühwürmchen beobachten, die taumelnd durch den Garten schwebten, im Flug ihr grünes Licht in unregelmäßigen Abständen ein und aus knipsend.   
Obwohl ich weiß, dass es inzwischen nichts mehr zu sehen geben wird, hebe ich, meiner morgendlichen Schläfrigkeit beraubt, den Kopf und blicke aus dem Fenster. Ich sehe den Garten in seiner morgendlichen Frische, ein Kohlweißling flattert durch die Luft, unbehelligt landet er im Kohlrabibeet um seine Eier unter den Blättern abzulegen, eine Amsel pickt lustvoll an den Kirschen, die schon gestern in der prallen Sonne unter dem Baum zu gären begonnen haben, Hanna schnarcht leise im Zimmer.
Genau so gut könnte ich geträumt, und aus dem Schlaf aufgeschreckt, Traum- und Wachwelt verwechselt haben. Um mich zu versichern, gehe ich nach draußen.
Mein Fahrrad, ein englisches Brompton, das ich der Mobilität halber und wegen des Vergnügens, immer und überall ein Fahrrad dabeihaben zu können, mitgebracht habe, steht hinter einem Gebüsch aus Lavendel und zu verschiedenen Jahreszeiten blühenden, mir fremden Sträuchern. Meinen Strohhut, ich habe ihn vor ein paar Jahren in einem kubanischen Laden für landwirtschaftlichen Bedarf gekauft, hatte ich am Abend zuvor über den Lenker des Bromptons gehängt, im guten Glauben, dass nächtens an einem Wochenende niemand durch die Gärten schleicht, um Hüte oder Fahrräder zu stehlen.
Nun lag das Brompton auf der Seite und der Hut ein paar Meter weiter auf dem Rasen, direkt unter dem Fenster, hinter dem ich eben noch träumend lag.
Mit diesen Informationen kann ich mir nun vorstellen, welchen Weg der unbekannte Besucher genommen hat. Weiterhin kann ich aus dem Geräusch, das ich immer noch lebendig in Erinnerung habe, auf vier krallenbewehrte Pfoten schließen, und auf einen kleinen, aber sehr kräftigen Körperbau und mit einem Gewicht von fünf bis sieben Kilogramm.
Am vorigen Abend hatte ein Gartennachbar von einem Fuchs berichtet, den er frühmorgens durch die Gärten streifen gesehen hatte. Das passt, sowohl vom Gewicht, als auch der Anzahl der Pfoten, bis hin zu dem Krallen. Ich sehe ihn vor mir, als hätte ich daneben gestanden. Das rotbraune Fell, die neugierigen, wachen Augen und die lange Schnauze. Eigentlich auf der Jagd nach Mäusen, hat er sich von dem im Wind sacht hin und her schwingenden Strohhut ablenken lassen, sich neugierig aufgerichtet und verspielt nach der Hutkrempe geschnappt.
Das Brompton steht auf dem unebenen Rasen nicht besonders stabil und der leise Ruck hatte offenbar genügt, und schon stürzte das Rad auf den neugierig verspielten Fuchs zu. Noch bevor das Rad den Boden berühren, und womöglich das neugierige Tier einer Falle gleichsam unter sich begraben konnte, musste der Fuchs die Gefahr erkannt haben. Den Hut vielleicht noch einen Sekundenbruchteil unentschlossen im Maul, hat er ihn dann doch, da auf der Flucht zu hinderlich, fallen gelassen und ist davon gerast.
Während ich noch mit meinen Gedanken in der Vergangenheit verweile und mir den neugierigen Fuchs vorstelle, wie er neugierig und verspielt nach dem am Lenker schaukelnden Strohhut schnappt, kommt Hanna verschlafen vor die Tür, hört sich meine Geschichte an und geht, kaum dass ich zu Ende erzählt habe, eilig  und ohne ein Wort zu sagen, hinters Haus. Dort steht, mit einem Bretterzaun vor neugierigen Blicken geschützt eine Gartendusche, unter der wir uns in der Hitze des Tages abkühlen können. Einem kurzen Moment später kommt Hanna zurück und verkündet aufgeregt: "der Fuchs hat mir meine Bluse gestohlen, die schöne schwarze, die mir Pixie geschenkt hat".
Das ist interessant, denn ganz offensichtlich streift dieser Fuchs nicht nur durch die Gärten, um Mäuse und Schnecken zu fangen und zu verspeisen, sondern ist, zumindest gelegentlich, auch auf der Suche nach Kleidungsstücken, die nachts unbewacht zum Trocknen auf der Leine hängen, nach feinen, frisch gewaschenes Stöffchen, in denen vielleicht noch, nur für die feine Nase eines Fuchses erkennbar, ein zarter Duft verborgen ist, oder eben nach Hüten.
Ob damit der Fuchsbau wohnlich gestaltet werden sollte? Aber wozu dann ein Hut, und womöglich auch noch das Fahrrad? 
Ich sehe einen Fuchs, mit einem Strohhut auf dem Kopf und einer schwarzen Bluse bekleidet auf einem englischen Klapprad sitzen, erhobenen Hauptes durch den Wald radeln, nach Berlin, wo die Füchse, ich habe es mit eigenen Augen gesehen, auf Grün warten, wenn sie an einer befahrenen Kreuzung die Straße queren und wo, auch das habe ich bereits erlebt, sie abends zu Curry 36 gehen, um eine Wurst zu stehlen.
Das muss der Plan gewesen sein, den unser Fuchs heute nacht verfolgt hat. Möglicherweise ist er lediglich an dem für die Bedienung durch einen zehn mal schwereren Menschen konstruierten Mechanismus des Brompton zum Ausklappen des Hinterrades gescheitert und hält nun Ausschau nach einem besser zu seiner Statur passenden, kleinen Kinderrad.
Ich jedenfalls werde heute Abend das Rad ins Haus stellen und auch dem Hut nicht draußen liegen lassen. Die verschwundene Bluse ist inzwischen wieder aufgetaucht, nicht vom Fuchs auf der Flucht verloren, sondern von Hanna nach der Wäsche ordentlich weggelegt. Für mich ist trotzdem klar, die Füchse hier in der Lausitz verfolgen, unbemerkt von den Menschen, heimliche Pläne. Dabei interessieren sie sich für kubanische Hüte, englische Fahrräder und bestimmt auch für schicke Frauenkleider.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen