Sonntag, 14. Juni 2015

Regen

Nach dem Regen

In den letzten Tagen war es heiß in Berlin, jeden Tag wurde es heißer, jetzt schon seit sieben
Tagen. Wenn in der Stadt eine bestimmte Wetterlage länger anhält, wird das Klima schnell
unerträglich.
Regnet es ein paar Tage, wenn auch nur leicht, so wird aus dem kühlen, reinigenden und
befruchtenden Nass eine Mischung aus Gummiabrieb, der durch das ständige Mahlen der
Autoreifen in eine stabile Suspension verrührt wird, angereichert mit nahezu dem ganzen
Periodensystem, beginnend mit den Alkalimetallen und endend bei dem exotischen Zoo der
Radionuclide. Dazu die biologisch Vielfalt der Reste bronchialem Auswurfs, Tierexkrementen, und
noch unverdauten Lebensmitteln samt ihrer polymeren Verpackung in verschiedenen Stadien ihrer
natürlichen Zersetzung. Die Menschen sitzen nass und erkältet in den öffentlichen Verkehrsmitteln,
Cafés und Arztpraxen und tauschen heimische und von Auslandsreisen mitgebrachte
Krankheitserreger aus.
Regnet es nicht, verändert die wenig appetitliche und der Gesundheit nur in Ausnahmefällen
förderliche Nassform sich in eine wasserfreie feinpartikuläre Variante, die sich in den Lungen der
Stadtbewohner und auf den freien Oberflächen des Wohnraums ansammelt um sich mit dem im
Wesentlichen aus Stoffresten, Hautschuppen und Haaren gebildeten Hausstaub zu einer
aggressiv giftigen und allergenen Mischung zu vereinigen, nichts ahnende Bewohner in dunklen
Ecken als Wollmaus auflauernd. Ist das Opfer reinlich genug, die fusselige Substanz sofort mit
dem Staubsauger zu bekämpfen, so werden in dem überlasteten und unzureichend
proportionierten Filtersystem des Staubsaugers die harmlosen Grobpartikel von den gefürchteten,
bis in die feinsten, nur Nanometer messenden und sowohl biologisch, als auch chemisch
hochaktiven Feinstaubkomponenten getrennt und diese gefährliche Substanz zurück in den Raum
und die Lungen der Bewohner geblasen.
Gestern aber war ein wunderbarer Tag. Er begann mit unerträglicher Schwüle, mein Thermometer
zeigte 28 Grad Celsius, von den Blättern der verdurstenden Linden tropfte der klebrige Saft der
Exkremente von Milliarden unersättlicher Blattläuse. Die Feuerwehr hatte Hochsaison und musste
reihenweise in der Hitze ohnmächtig zusammengebrochene Bürger vorsichtig wieder aufrichten
und wenn möglich mit ein paar guten Ratschlägen wieder nachhause schicken, um die wenigen,
noch verbleibenden freien Betten der Krankenhäuser für ernsthaftere Notfälle frei zu halten.
Nur das Regenradar verkündete das Ende der sich seit Tagen über der Stadt zusammenballenden
und in der nassen Kälte von Polarwinden entstandenen Heißluftblase, die sich wie ein Furunkel in den engen Straßen der Stadt festgesetzt hatte.
Alles Leben der Stadt war in den gerade mal sieben Tagen an seiner Belastungsgrenze
angekommen. Aber ich wollte ja vom Wunderbaren an diesem Tag berichten und vor diesem
Wunderbaren wurde im Radio schon in Unwetterwarnungen gewarnt. Am Nachmittag, so gegen
vier wurde es so dunkel, dass ich Licht machen mußte und dann zogen im Abstand von drei
Stunden zwei Gewitterfronten in voller Breite über die Stadt. Blitze zuckten über den Himmel und
der Flugverkehr wurde kurzzeitig unterbrochen. Die vom Läusedreck verklebten Straßenbäume
sahen aus, als würden sie durch eine Autowaschanlage geschoben. Die Äste hingen mit ihrer Last
an Läusen und nun auch noch der des Wassers, das nicht so schnell ablaufen konnte, wie neues
in dicken Tropfen von oben herab gestürzt kam, beinahe bis zum Boden. Der eine oder andere Ast
hielt der Belastung nicht stand und krachte auf die Chaussee. Nach der Vorwäsche kam dann drei
Stunden später der Hauptwaschgang. Das war der Beginn des schönen Tages.
Beinahe sofort wich die drückende Schwüle der giftigen Großstadtluft einer angenehm duftigen
Frische. Der sich über Tage angesammelte Straßenstaub fuhr unter Gegurgel in die Gullys, die
sofort das städtische Abwassersystem in den für solche Fälle vorgesehenen Notbetrieb
überführten, was wiederum zur Folge hatte dass die Berliner Binnengewässer mit einer Welle aus
giftigem Straßendreck und frisch ausgeworfenen Fäkalien angereichert wurden. Ein
städteplanerisch vorgesehenes Ereignis, das wahrscheinlich genutzt wird, um die Rattenplage der
Metropole im Zaum zu halten. Für die Ratten also kein schöner Tag, aber für die Straßenbäume,
die Stadtbewohner, die vergnügt quietschend in dem frischen Regen hüpften und die Bienen,
Käfer, Katzen und die Ratten, die nicht gerade von der frischen Flutwelle aus Abwasser und
Straßendreck überrollt wurden.
Heute Morgen, ich sitze in der klaren Luft der Morgensonne und freue mich über den feinen
Geruch der blühenden Linden, beobachte die Bienen, die sich begeistert über das frisch
gewaschene Blütenmeer hermachen und sehe Spaziergänger mit Strohhut die Straße entlang
flanieren, heute Morgen ist es schön in der Stadt!

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