Montag, 26. Dezember 2016

Fortschritt

Im letzten Jahr hat es viele große Einschnitte in meinem Familienleben gegeben. Inzwischen ist der Alltag zurück gekehrt und auch die Muße ist wieder da. Die Pause ist zu Ende, es kann weiter getrödelt werden. Flanieren, besonnenes Schreiten wäre die treffendere, aber weniger provozierende Formulierung. Ich habe es nie ausstehen können, mit unangemessener Hektik in eine Richtung zu laufen, ohne vorher verstanden zu haben, wohin der Weg führt und was genau eigentlich mein Ziel ist. Deshalb liebe und genieße ich es jetzt, erst zu denken und dann zu schreiten um dem seltsamen Wort Fortschritt einen Sinn zu geben. 
Da ich sehr großen Wert darauf lege, das, was mir besonders viel Freude bereitet, zu teilen, geht es nun weiter mit Michels Lichtbildern und gelegentlichen Geschichten. 
Ich will damit anfangen, den Apparat, mit dem ich meine Bildersuche in der kleinen Welt betreibe, das Mikroskop, vorzustellen. Auch die Entstehung der Bilder will ich so beschreiben, daß sowohl die Motivation, als auch die Methode nachvollziehbar werden. 
Lange habe ich gezögert, mit welchem meiner beiden Zeisse ich auf die Reise in die Mikrowelt gehen möchte. Eins aus dem Westen, eins aus dem Osten, das eine, das aus dem Westen, mechanisch perfekt, das andere optisch super ausgerüstet, aber in der Handhabung gewöhnungsbedürftig. Da ich keinen Grund habe, irgend etwas zu überstürzen, hat die umfangreiche Optik des Zeiss aus Jena gewonnen. An gewöhnungsbedürftige Mechanik werde ich mich gewöhnen.
Amplival haben die Jenaer Zeissianer stolz die Serie genannt, futuristische Linienführung, modularer Aufbau, Unendlichoptik und damit seiner Zeit - etwas zu schnell für meinen Geschmack, weil nicht mit der nötigen Sorgfalt zu Ende gedacht - weit voraus.
Wenn ich all die kleinen Mechaniken wieder beweglich gemacht und justiert habe und den Fokustrieb für Belichtungsserien mit unterschiedlichen Fokusebenen vom Rechner aus steuern kann, werde ich die Möglichkeit haben, im Auf- und im Durchlicht durch meine Mikrowelten zu reisen und schöne Bilder nachhause zu bringen. 
Das Amplival aus Jena
Aber auch schon jetzt, mitten in der Bauphase, entstehen immer wieder schon Bilder, wenn ein Lichtstrahl durch die noch nicht vollständig geputzten Linsen fällt. Einige Bilder sind schon jetzt im Blog zu sehen und gerade in den letzten Wochen bin ich wieder ein Stückchen weiter gekommen. Mit viel Gefummel habe ich die Beleuchtung so justieren können, daß sie den Forderungen genügen, die A. Köhler 1893 in seinem Aufsatz über "Ein neues Beleuchtungsverfahren für mikrophotographische Zwecke" beschrieben hat. 
Noch geht die Justage nicht mit der Leichtigkeit vonstatten, die ich eigentlich erwarten würde, aber das Licht ist gut genug für die nächsten Bilder.
Ein beliebtes Thema, gerade für mein Amplival, das für Untersuchungen im polarisierten Licht spezialisiert ist, sind Kristalle. Die Geometrie der Strukturen kristalliner Stoffe ist sehr reizvoll und von unendlicher Vielfalt, die Farben, entstanden durch Interferenzerscheinungen und somit gerne ein bisschen bunt, sind für mich als Bildfarben doch ziemlich gewöhnungsbedürftig. Hier zeigt sich dann auch schnell der Nachteil meines Beleuchtungssystems mit weißen Leuchtdioden anstelle der im Original verwendeten Halogenbirnchen. Die Leuchtdioden haben dan Vorteil, daß sie wesentlich weniger Wärme abgeben und bei jeder Helligkeit nahezu im gleichen Farbspektrum leuchten. Der Preis hierfür ist ein Farbspektrum, das sich von dem der Sonne je nach Bauart der Leuchtdiode mehr oder weniger stark unterscheidet. An dieser Stelle wartet noch ein gutes Maß an Arbeit auf mich. 
Für die Präparation der Proben brauchte es nicht mehr, als ein Teelicht und ein paar Zahnstocher, eine Wäscheklammer und ein Taschenmesser. 
Für das Koffeinpräparat habe ich von einer rohen Kaffeebohne mit meinem Taschenmesser ein Scheibchen, ein möglichst dünnes, abgeschnitten, auf einen Objektträger gelegt, mit einem Zahnstocher als Abstandhalter einen zweiten Objektträger darüber platziert, einen Tropfen Wasser zur Kühlung über dem Kaffeebohnenscheibchen auf den oberen Objektträger geträufelt und das ganze Gebilde vorsichtig über einem Teelicht erhitzt. Das Kaffeebohnenscheibchen wurde braun, unter dem Wassertropfen bildete sich ein grauer Niederschlag und der heiß gewordene Objektträger zersprang mit einem leisen Knack. Ein paar Scherben fielen ins Teelicht und löschten die Flamme, bevor sie den feinen, grauen Niederschlag an der wassergekühlten Stelle des oberen Objektträgers versengen konnte und fertig war mein Koffeinsublimationspräparat. 
Koffein
Im Mikroskop entpuppte sich der graue Niederschlag dann erwartungsgemäß als feine, nadelförmige Kristalle, die kreuz und quer in schrill bunten Farben schillernd aus dem Rauch meines erhitzten Kaffeebohnenscheibchens gewachsen waren.

Aber es gibt natürlich im Haushalt, auch in meinem,wesentlich mehr interessante und selten gesehene Universen zu erforschen, als das isolierte Alkaloid meines Lieblingsgetränkes. Insbesondere in Berlin setzen sich Wasserhähne, Teekessel und Brauseköpfe besonders schnell mit einer dicken Schicht Kalk zu. Die Waschmaschinenindustrie freut´s und auch die Firma Heitmann, die Zitronensäure zum Entkalken in kleinen Schächtelchen verkauft. Die Zitronensäure hat einen Schmelzpunkt von 153 °C. Ein kleines Körnchen zwischen Objektträger und Deckglas läßt sich über besagtem Teelicht wunderbar aufschmelzen und erstarrt beim Abkühlen so langsam, daß noch Tage nach Beginn des Experiments neue Strukturen unter dem Mikroskop zu entdecken sind. Da die Kristalle so schön langsam wachsen, werden sie ziemlich groß, beinahe zu groß für mikroskopische Beobachtung und sind daher schon mit bloßem Auge erkennbar. 
Ein noch ganz junger Kristall in geschmolzener Zitronensäure
Immer noch Zitronensäure, aber ein paar Tage später.



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