Donnerstag, 26. November 2015

Venedig

Es wäre vermessen, nach den wenigen Tagen, die ich in der Stadt gewesen bin, etwas über Venedig schreiben zu wollen, das nicht schon lange vor mir und aus jedem erdenklichen Blickwinkel zu Papier gebracht wurde. Also lasse ich es und schreibe etwas über mich, nach fünf Tagen in Venedig. 
Vor Beginn der Reise habe ich gelesen, über Venedig und über das Leben, die Geschichte, die Kunst, die Architektur, in der neuen und in der alten Zeit, habe in Bildbänden geblättert und mich durchs Internet geklickt, bin ich in den Flieger gestiegen und anderthalb Stunden später wieder gelandet, in den Bus gestiegen und eine halbe Stunde später wieder raus und dann war ich in Venedig. 
Unser Hotel lag unweit vom Busbahnhof, direkt am Canale di Cannaregio, nur eine viertel Stunde Fußweg entfernt vom Piazzale Roma. Zuhause hatte ich so oft den Weg auf dem Stadtplan und in Google Maps studiert, daß ich das Gefühl hatte, mittlerweile jeden Pflasterstein auf dem Weg zum Hotel zu kennen. Dieses Gefühl des Vertrauten hat mich in der ja eigentlich fremden Stadt auch nie wieder verlassen. Die warmen Farben der Häuser, die sich in den ständig wechselnden Blautönen des Wassers spiegeln, die Geräusche von Schiffen, Menschen und Vögeln, der Geruch nach Wasser, ein bisschen muffig, ein bisschen meerig und die daraus entstehende Mischung aus Meer und Stadt hat in mir von der ersten Sekunde an ein Gefühl des Zuhauseseins erzeugt, das so selbstverständlich war, dass ich es erst wahrgenommen habe, als es, zurück in Berlin, wieder verschwunden war, eben so unvermittelt, wie es mich vom ersten Moment an in Venedig überkommen hatte.
Ich liebe das Leben in der Stadt und ich würde gerne in einem Haus am Meer wohnen. Wo, wenn nicht in Venedig, ließen sich diese Wünsche in idealer Weise zusammenbringen. 
Natürlich habe ich nicht nur Kaffee getrunken und am Kanal in der Sonne gesessen, sondern habe auch Bilder gemacht, wohl wissend, dass es wahrscheinlich in der ganzen Stadt keinen Stein und kein Stückchen Kanal gibt, das nicht hundertfach fotografiert, digitalisiert, gezeichnet, gemalt und fotokopiert worden ist. 
Aber der Moment, jeder Moment ist einzigartig und der Faszination, einen winzigen Bruchteil dieses von mir erlebten Momentes einzufrieren und mit nach Hause zu nehmen, konnte und wollte ich mich nicht entziehen. 
So war es dann auch ein einzigartiges Vergnügen, auf dem Fondamento, vor meinem bald gefundenen Lieblingscafé sitzen den Palazzo auf der gegenüberliegenden Seite des Kanals zu zeichnen. Drei Tage lang habe ich morgens nach dem ersten Cappuccino dort in der Morgensonne gesessen, die Schiffe beobachtet, den Möven zugehört und liebevoll die kleinen Fenster des in Würde gealterten Gebäudes mit weichem Bleistift auf Papier gebracht.
Im Gegensatz zur fotografischen Fixierung des Momentes gibt mir die Arbeit mit Stift und Papier die Gelegenheit, genau zu beobachten. Die Anordnung der Fenster und Türen, die Verzierungen, Proportionen und auch die Spuren und Schrunden der Jahrhunderte werden sichtbar. Zu dem Moment des Daseins gesellen sich Schatten der vergangenen Zeit und ein Bild entsteht, das nicht den Augenblick, sondern die Zeit in ihrem Fluss erleben läßt.

"Mein" Palazzo Cendon








Palazzo Cendon, erbaut 1437

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