Im Wald zu sein, war schon als Kind für mich ein besonderes Erlebnis. Alles lebt, der Boden unter meinen Füßen federt und macht meine Schritte leicht, das Licht vibriert in allen Farben und Intensitäten, tanzend und mit tausend Schatten spielend. Jeder Atemzug verbindet mich mit dem Atem des Waldes. Dunkel steigt aus dem Erdreich der Geruch von Pilzen aus dem Boden auf und vermischt sich mit dem zarten Duft von Blumen und den würzigen Aromen der Bäume. Ich höre den Wind, das Singen der Vögel, Knacken im Gehölz und wenn ich eine reife Beere pflücke oder ein frisches, zartes Blatt kaue, schmecke ich ihn, den Wald.
Schon Leonardo da Vinci hat beobachtet, daß Bäume im Rhythmus der Jahre wachsen. Erkennbar an den Jahresringen, deren Zwischenräume je nach Wachstumsbedingungen mehr oder weniger breit ausfallen und so ein einzigartiges Muster bilden. In guten Jahren liegen die Ringe weiter auseinander, in mageren ist der Abstand zum nächsten Jahresring kleiner. Innerhalb einer Vegetationsperiode kann man zwischen dem im Frühjahr gebildeten Holz, dem vom Sommer und dem vom Herbst unterscheiden.
Für mich, der ich viele Jahre meines Berufslebens mit mikroskopischen Methoden in der Forschung gearbeitet habe, ist es naheliegend, Bäume mit dem Mikroskop zu betrachten. Besonders interessant finde ich dabei die Bilder des Querschnittes, also der Ansicht, die sich ergibt, wenn ein Baum gefällt oder ein Ast abgesägt wird. Für meine Bilder suche ich ein Stückchen von einem Ast, sei es vom Sturm gebrochen, oder von einem gefällten Baum, oder von dem Pflegeschnitt des Gärtners. Nur recht frisch sollte das Holz sein, noch nicht verfallen, von Pilzen besiedelt oder von Fäulnisbakterien durchsetzt.
Sehe ich mir ein von mir gesammeltes Stückchen Holz im Mikroskop an, nachdem es getrocknet und sorgfältig poliert wurde, so bin ich fasziniert von der Schönheit und Vielfalt der Strukturen und den warmen Farben. Jedes Scheibchen, das ich von einem Ast schneide, zeigt sich in anderen, neuen Details, Spielarten eines für jeden Baum typischen, immer wiederkehrenden Grundmusters.
Während ich den feinen Mustern von der Mitte beginnend von Jahresring zu Jahresring folge, stelle ich mir vor, das Tagebuch zu lesen, in dem der Baum Tag für Tag notiert, was für ihn von Bedeutung ist. War es ein sonniger Tag, hat es geregnet, war es stürmisch und aus welcher Richtung wehte der Wind, gab es Käfer, die sich in sein Holz bohrten?
Jedes Ereignis, das der Baum wahrnimmt, führt zu einer Reaktion und einer Spur in den Tiefen des Holzes. Das Wachstum verändert sich, es werden Botenstoffe synthetisiert, um andere Bäume zu informieren oder um Hilfe herbei zu rufen.
Wenn ich am Ende dann meine Bilder betrachte, wissend, wie wenig ich weiß, ist es eine Mischung aus Neugierde, Bewunderung und Freude. Vielleicht vergleichbar mit dem Betrachten einer Kalligrafie in einer mir fremden Schrift aus einer mir fremden Kultur. Ich bin begeistert von der Vielfalt, der Schönheit und Größe, die sich hinter den mir fremden Zeichen verbirgt. Mit meinen Bildern möchte ich den Betrachter zum Staunen verführen und so vielleicht ein bisschen seine Neugier wecken, und Freude. Freude an den Farben, den Linien und Mustern, an Bekanntem und Unbekanntem. Neugier darauf, was in diesem Tagebuch zu lesen ist und was wir daraus lernen können. Wir wissen nicht viel darüber, ob und was ein Baum empfindet und weder mit wem noch wie er seine Wahrnehmung, sein Wissen kommuniziert, aber ich denke, es wäre gut, gut für die Menschen und gut für die Bäume, wenn wir mehr voneinander erführen.
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